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Kosmopolitismus von unten

Annäherungen an globale Demokratie: eine Veranstaltung der Reihe Der utopische Raum im globalen Frankfurt, ausgerichtet von der Stiftung medico international, dem Institut für Sozialforschung und der Frankfurter Rundschau. An utopische Räume erinnerten schon die Veranstaltungsorte des Symposiums vom 1. bis 3. Oktober 2022. Der Einführungsabend in der Paulskirche erinnerte an die erste Demokratie-Bewegung in Deutschland. Das Offene Haus der Kulturen auf dem alten Campus Bockenheim erinnerte an die Studenten- und Frauenbewegung, die für die demokratische Weiterentwicklung Deutschlands entscheidend war.

Aber warum diese komplizierte Überschrift? Sind wir nicht alle Kosmopolit*innen? Ich beispielsweise verstehe mich als Kosmopolitin, erstens durch Geburt und zweitens als Frankfurterin, denn Frankfurt ist die Stadt mit dem höchsten Anteil an Bewohner*innen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Warum den Begriff des Kosmopolitismus aufspalten in einen von unten und einen von oben, da wir im globalen Norden notwendigerweise zu beiden Kategorien gehören, als Teil der „Beutegemeinschaft“ zur Ausplünderung des Globalen Südens, was selbst für Empfänger*innen staatlicher Leistungen gilt, wie ein Teilnehmer aus dem Publikum einwarf? Warum „Annäherungen“ an globale Demokratie? Wo doch klar ist, dass der alte Kapitalismus einer neuen demokratischen Weltordnung weichen muss, wenn wir als Spezies überleben wollen?

Dieser utopische Raum war mir dennoch eine Wunderkammer der Ideen, auch wenn ich es nicht schaffte, an allen Veranstaltungen teilzunehmen und nicht immer aufmerksam zuhörte. Seyla Benhabib rief in ihrem Video-Vortrag am ersten Abend (Reflections on the counterrevolution against cosmopolitism / Hass auf Frauen, die Natur, das Andere) am Ende tatsächlich zu Widerstand gegen den Abbau der Demokratie auf, der in den USA schneller voranschreitet als in Europa. Sergio Costa berichtete von bereits gelebter Konvivialität zwischen Mensch und Natur, altruistisch, nicht utilitaristisch, wie im Kapitalismus noch normal. Daniel Loick zitierte Rosa Luxemburg: Sozialismus oder Barbarei, und erinnerte daran, dass vergangene Barbarei nach Anerkennung und Reparationen verlangt, wenn wir den Planeten als demokratische Weltgemeinschaft erhalten wollen. Manuela Bojadzijev verstand den Kosmopolitismus als Modalität der „Weltweitwerdung“, beispielhaft am Widerstand eines kleinen Orts in Bulgarien (?) gegen den Abbau von Rohstoffen durch die Blockierung der Straßen und sogar des Autoputs durch Europa.

Am zweiten Tag des Symposiums fokussierte Thomas Gebauer auf ungleiche Machtverhältnisse im Kapitalismus, erkennbar beispielsweise an gespinnten und reframten Narrativen oder am prekären Zustand der UN heute, auflösbar nur durch die Weiterentwicklung der weltweiten Demokratie. Regina Kreide diskutierte Eigentumsrechte im Kapitalismus, mit denen ungleiche Machtverhältnisse immer weiter verfestigt werden. Das hat u.a. zur Folge, dass Eliten der Gesellschaft zunehmend undemokratische Regeln aufdrücken können und demzufolge das Grundgefühl zunehmender Wehrlosigkeit Platz greift, trotz aller Demokratie. Ein Zeitfenster möglichen Wandels sieht sie darin, dass individuelle Eigentumsrechte wegen des Klimawandels durch die Rechte der Natur in Frage gestellt werden können. Dana Schmalz war eher skeptisch, was derzeitige Handlungsräume im internationalen Recht betrifft. Auch internationale Rechtsnormen werden erst durch Aufruf mit Inhalt gefüllt, woraus folgt, dass das mit der Zeit noch was werden kann. Derweil kann dieser Rechtsraum politisch genutzt werden, um Themen auf die öffentliche Agenda zu setzen, wie das Greta Thunberg getan hat, auch wenn sie mit ihrem Verfahren vor dem UN-Kinderrechtsausschuss scheiterte. Ulrich Brand, Co-Autor der wegweisenden Publikation „Imperiale Lebensweise“, zitierte zum Auftakt seines Beitrags die Oxfam-Studie von Anfang 2022 (Inequality Kills), wonach die reichste 1% der Weltbevölkerung 23% der Emissionen verursachen, die 50% am anderen Ende der Wohlstandsskala aber nur 16 %. Und: Der Reichtum der 10 reichsten Männer (!) der Welt hat sich seit Beginn der Pandemie verdoppelt, während alle anderen ärmer wurden. Folglich ist der Rückbau der gesellschaftlichen Ungleichheit und der ungleichen Ressourcenverteilung dringend geboten.

Am dritten Tag ermöglichten zwei Autor*innen einen literarischen Blick auf unsere globalisierte Welt: Fiston Mwanza Mujila und Anna Yeliz Schentke. Danach kam aus meiner Sicht der spannendste Vortrag des ganzen spannenden Symposiums: Alberto Acosta, Wirtschaftswissenschaftler, hatte als ehemaliger Präsident der verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors die Natur als Rechtssubjekt in die Verfassung eingeführt. Die Natur als Rechtssubjekt? So abenteuerlich muss früheren Generationen die Vorstellung gewesen sein, schwarze Sklaven könnten die gleichen Rechte besitzen wie die weißen Kolonisatoren Amerikas, oder dass Frauen die gleichen Rechte besitzen könnten wie Männer. Aber die Vorstellung der Natur als Rechtssubjekt ist wohl schon ziemlich verbreitet, es soll sogar eine entsprechende Initiative in Bayern geben.

Möglicherweise kein Zufall, dass Acosta damit die Konvivialität zwischen Mensch und Natur wieder aufgriff, von der Sergio Costa am ersten Tag berichtet hatte. Denn auch hier gilt es, den anthropozentrischen Blick aufzugeben zugunsten einer biozentrischen Betrachtung der Welt: Das ermöglicht die Distanzierung von Patriarchat, Kapitalismus und Kolonialismus und öffnet die Perspektive für gemeinschaftliches Leben in spiritueller Verbundenheit mit der Natur. In Wirklichkeit, so Acosta, gibt die Natur uns das Recht zu leben, nicht wir der Natur einen Status als Rechtssubjekt. Angekündigt wurde bei dieser Gelegenheit ein gemeinsames Buchprojekt mit dem oben erwähnten Ulrich Brand, auf das ich gespannt bin.

Derweil sollten wir im Globalen Norden den schleichenden Abbau unserer Demokratien nicht aus den Augen verlieren. Es gibt besorgniserregende Anzeichen: Beispielsweise, dass wir weiterhin ohne Anlass vom Staat digital überwacht werden können, u.a. mittels Vorratsdatenspeicherung. Dass wir ein Sondervermögen für unsere Aufrüstung bereitstellen, aber nicht für den umweltverträglichen Umbau unserer Wirtschaft. Dass in der Energiekrise Staatshilfen mit der Gießkanne und nicht nach Bedürftigkeit verteilt werden. Dass Snowden russischer Staatsbürger geworden ist, weil er gesehen hat, wie gnadenlos die USA den Whistleblower Assange verfolgt. Dass Guantanamo immer noch existiert. Und dass auch in Deutschland die Allgemeinen Menschenrechte nicht für alle gelten.