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Wir sind wir!

Nein, kein Bezug zu „Wer ist wir?“ von Navid Kermani, jedenfalls nicht explizit. Es ging um Identitätspolitik und deren Exzesse im Aktuellen Forum im Haus am Dom gestern. Auf dem Podium gleich drei Vertreter der Bildungsstätte Anne Frank, Patrick Bahners von der FAZ und Joachim Valentin vom Haus am Dom als Kontrapunkte. Genauer: Es ging um eine Buchpräsentation, was so nicht aus der Ankündigung des Hauses am Dom zu entnehmen gewesen war: Triggerwarnung.

War trotzdem interessant: Meron Mendel, an diesem Abend strahlendes Geburtstagskind, berichtete von Präsentationen dieses Buches vor linkem Publikum, und nun vor einem „vernünftigen“. Er beklagt, dass die Linke weiterhin in alten Strickmustern verharre und dass wir vor lauter politischer Korrektheit zuviel Energie nach innen richteten, um nur nichts falsch zu machen, und zu wenig nach außen, um schlechte Wirklichkeiten zu verändern.

Das bebilderte Eva Berendsen aus frauenpolitischer Sicht: Die Me-Too-Debatte habe Schlaglichter auf die nach wie vor sehr optimierbare berufliche Situation von Frauen geworfen. Habe aber auch dazu beigetragen, dass der Feminismus inzwischen tatsächlich Mode geworden sei: In Form von H&M-TShirts mit feministischem Aufdruck. Offene Frauenfeindlichkeit, heutzutage verpönt, werde in Form von Mikroaggressionen nach wie vor fröhlich ausgelebt. Patriarchales Verhalten bei Migranten werde von Rechten zuverlässig hochgespielt und von Linken allzu oft schamvoll beschwiegen. Dabei habe sich an der sozio-ökonomischen Lage der Frauen in den letzten 30 Jahren nicht genug zum Besseren gewendet. Was bei aller Identitätspolitik aus dem Blick zu geraten scheine, sei, dass es einfach darum geht, weltweit die gleichen Rechte für alle Menschen umzusetzen, und hier bei uns: Die Versprechen einer liberalen Demokratie endlich Wirklichkeit werden zu lassen.

Saba-Nur Cheema berichtete von Erfahrungen aus ihrem häuslichen Umfeld und aus ihrer täglichen Arbeit bei der Bildungsstätte Anne Frank. Eindrücklich die Geschichte von der muslimischen Frau, die die Lebensgemeinschaft mit ihrem Partner verlassen und ein Gericht anrufen muss, um wieder mit ihren Kindern in der Familienwohnung leben zu können. Das Gericht habe den Termin erst auf das Zuckerfest gelegt, und als der Beklagte dagegen protestierte, um zwei Wochen verschoben. Offenbar, um keine Kritik zu riskieren, was kulturelle Sensibilität betrifft. Allerdings verlängerte das Gericht mit dieser Entscheidung (unabsichtlich?) einen sehr schwierigen Zustand für die Frau und ihre Kinder.

Cultural Appropriation war auch auf dem Podium umstritten: Darf Carola Rackete Dreadlocks tragen? Oder ist der Vorwurf der unberechtigten Anleihe aus einer anderen Kultur nicht ein heimlicher Angriff – und somit ein Exzess der Identitätspolitik? Aus dem Publikum kam der Einwurf, dass kulturelle Übernahmen zur Menschheitsgeschichte gehören, etwa in der Jazz-Musik. Vom Podium kam der strenge Verweis auf koloniale Raubzüge und die neue Rückgabepolitik europäischer Museen.

Patrick Bahners verwies unermüdlich auf die Notwendigkeit von Exzessen, um gesellschaftliche Problemzonen auszuleuchten und auf die Notwendigkeit sowohl von Fokussierung auf den Einzelfall wie von dualistischer Gut-Böse-Grenzziehung, um zu Lösungen zu kommen. Joachim Valentin moderierte das Gespräch mit Humor und wedelte zum Schluss mit seiner Judith-Butler-Lektüre, nach der ihm der Verdacht gekommen sei, Butler läute das Ende der Wissenschaft ein. Auch ein heimlicher Angriff?