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#Hanau – und die Konsequenzen?

Ein Jahr ist vergangen seit dem rechtsterroristischen Attentat am 19. Februar 2020, dem neun Mitbürger*innen mit Migrationshintergrund zum Opfer fielen. Und jetzt, erst jetzt kommt unfassbares Behördenversagen in Hessen zutage: Aufgedeckt von den Betroffenen, die das Attentat überlebt haben oder denen Familienmitglieder weggemordet wurden von einem bekennenden Rechtsradikalen, der seine Taten auch noch angekündigt hatte. Was haben die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr eigentlich gemacht?

Fehler auf Management-Ebene: Polizeinotrufe, die nicht angenommen wurden. Das hat mindestens ein Menschenleben gekostet. Ein auf behördliche Anweisung verschlossener Notausgang in einer Bar hat wahrscheinlich zu weiteren Toten geführt. Eine Waffenrechtsbehörde, die dem aktenkundig auffälligen Tobias R. einen Waffenschein erteilte.

Noch niederschmetternder sind die Indizien für institutionellen Rassismus bei der Aufarbeitung des Attentats – ganz so, als sei aus dem eklatanten Behördenversagen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie überhaupt nichts gelernt worden.

Besonders erschüttert hat mich der Bericht von Armin Kurtović darüber, wie er nach dem Ermordung seines Sohnes von der Hanauer Polizei abgewimmelt und acht Tage in Unkenntnis über den Verbleib des Leichnams gelassen wurde, das derweil ohne Einverständnis der Angehörigen und ohne sachlichen Grund auf Anweisung der Staatsanwaltschaft Hanau widerrechtlich obduziert wurde, obwohl der junge Mann deutlich sichtbar an einem Schuss in den Hinterkopf verstorben war.

Die Familie hatte dann nicht nur mit dem Tod eines Familienangehörigen zu kämpfen, sondern musste auch noch dessen symbolisch massakrierten Körper begraben. Der Rassismus wurde im Obduktionsbericht sogar noch verbalisiert: „Südländisch-orientalisch, Augenbrauen gezupft“. Bei einem Verbrechensopfer eine Kennzeichnung, die keinen anderen Zweck haben kann als rassistisch auszugrenzen.

Noch deutlicher äußerte sich der Polizeirassismus darin, dass die Familien der Attentats-Opfer Gefährderansprachen bekamen, eigentlich eine Maßnahme für straffällig Gewordene und nicht für Betroffene von Gewaltverbrechen. Diese Ansprachen erfolgten zum Schutz des ebenfalls rechtsradikalen Vaters, mit dem der Täter vor seinem Selbstmord möglicherweise in psychotischer Symbiose gelebt hatte. Der Vater des Täters fühlte sich wegen des Polizeischutzes offenbar sogar ermutigt, den Spieß umzudrehen und sich mittels Eingaben an diverse Behörden als Opfer hinzustellen. Dabei liegen wohl Hinweise genug für eine Strafanzeige gegen ihn vor.

Höhepunkt dieses exemplarisch-rassistischen Polizei-Vorgehens: Der deutschen Familie Kurtović, und wahrscheinlich nicht nur der, wurde der Ausländerbeauftragte samt Dolmetscher ins Haus geschickt.

Leben die Polizisten in Hanau hinterm Mond? Vermutlich nicht. Also handelt es sich hier um polizeiliche „Botschaftstaten“, was ihrem Auftrag, als Staatsdiener für die öffentliche Sicherheit aller (!) zu sorgen, diametral entgegensteht. „Dass sich Polizeiangehörige an Buchstaben und Geist unserer Verfassung halten, ist das Minimum, das man erwarten muss“, so Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler. Bundes-Innenminister Seehofer (CDU/CSU) hatte vermutlich gute Gründe, die Rassismus-Studie bei der Polizei zu sabotieren. Denn der altbewährte Rassismus, ein geradezu liebgewonnenes Kulturgut, ist ein „Stützpfeiler struktureller und institutioneller Ungerechtigkeiten“.

Dabei wäre in Hessen die Rassismus-Studie bei der Polizei womöglich besonders nötig, ziehen wir nur die Ereignisse in Hanau in Betracht. Dazu passt, dass Hessens „Landesvater“ Volker Bouffier (CDU) sich erst auf politischen Druck zu Treffen mit Angehörigen der Opferfamilien herbeiließ, und dabei keinen Hehl aus seiner abwehrend-abwertenden Haltung machte. Laut einem Tweet muss er den Angehörigen gesagt haben, er habe schon viel schlimmere Attentate erlebt, und beim nächsten Mal machten wir alles besser.

Ins Bild fehlenden Respekts passt, dass bei der Gedenkfeier am 19. Februar 2020 im Hessischen Landtag die Angehörigen und Überlebenden kein Rederecht bekamen und dass das Opfer-Fonds des Landes Hessen mit zu geringen Mitteln ausgestattet ist.

Es ist berechtigt, den Rücktritt des Hessischen Innenministers Beuth zu fordern, wie das Hanaus Oberbürgermeister Kaminsky (SPD) tut. Die mangelhafte Notruf-Infrastruktur der Polizei, Fehlverhalten und insbes. institutioneller Rassismus bei der Polizei, Fehlverhalten bei der Waffenrechtsbehörde fallen in seine Verantwortung.

Aber der heutige Hessische Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) war auch mal Hessischer Innenminister und schleppt aus dieser Zeit noch einiges mit. Was wusste Bouffier über die NSU-Mordserie? Warum hat er die Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat verhindert? Hat er den tatverdächtigen damaligen Verfassungsschützer Temme schützen wollen? Der Untersuchungsbericht wurde erst für 120, nach Protest dann für 30 Jahre weggesperrt: Was einem Schuldeingeständnis gleichkommt, aber einem unterdrückten Schuldeingeständnis, also einem „Weiter so!“, was möglicherweise den Weg zum Mord an Walter Lübcke geebnet hat. Rechtsextreme dürften sich ermutigt gefühlt haben, aufrechten Staatsdiener*innen in den Sicherheitsbehörden könnte der Kompass verrutscht sein.

Die Frankfurter NSU-Opferanwältin Seda Basay-Yildiz, die seit 2018, nach Address-Abfragen auf einem Polizei-Computer, rassistische Drohmails mit dem Absender NSU 2.0 bekommt, hat im November 2020 zur Selbsthilfe greifen müssen: Sie hat eine Belohnung für Hinweise ausgesetzt, die zur Ergreifung des Täters führen.

16. Juni 20212

In der Tatnacht waren 13 Polizisten aus dem Frankfurter Spezial-Einheit-Kommando (SEK) im Einsatz, das jetzt wegen rassistischer Chats aufgelöst wurde: Opfer-Angehörige fordern Aufklärung.

Frankfurter Rundschau, 19.03.2022: Anschlag von Hanau: Polizeiwissenschaftler darf Stellungnahme nicht vortragen

Frankfurter Rundschau, 22.03.2022: Anschlag von Hanau: Neue Fehlerkultur bei Polizei gefordert