Über Deutschlands größte nationale Minderheit Sinti und Roma ist weiterhin wenig bekannt, vor allem über den Völkermord an ihnen in der NS-Zeit. Da lohnt der Hinweis auf Möglichkeiten, sich zu informieren. Der mehrfach prämiierte Film „Der lange Weg der Sinti und Roma“ ist nochmal am 6. April 2023 um 23:15 Uhr im hr-fernsehen zu sehen. Und die mobile Ausstellung „Der Weg der Sinti und Roma“ kann noch bis 26. Mai 2023 im AMKA Frankfurt besucht werden.
Die Sinti und Roma wanderten ab dem 8.-10. Jhdt. vom indischen Subkontinent aus nach Westen. Eine der Gruppen kam vor ca. 600 Jahre im deutschsprachigen Raum an, die Sinti. Die gemeinsame Sprache Romanes enthält Elemente der durchwanderten Kulturgebiete wie auch Elemente des altindischen Sanskrit. Die ursprüngliche Herkunft der Sinti und Roma lässt sich heute auch durch Gen-Analysen nachweisen. Wahrscheinlich würde ein Vergleich der Musik Nordindiens und des heutigen Pakistans mit der der Sinti und Roma ebenfalls überzufällige Gemeinsamkeiten ergeben.
Beispielhaft für alle „geanderte“ Menschengruppen ist am Begriff „Zigeuner“ die Konstruktion eines Feindbildes abzulesen, mit der eine erwünschte Gruppenidentität bei der „ungeanderten“ Bevölkerung erzeugt und damit Herrschaft abgesichert wird. Bemerkenswert ist die Romantisierung und Sexualisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, z.B. im Carmen-Topos. Bestürzend ist, dass feindselige Fremdwahrnehmungen häufig übernommen werden, ablesbar etwa am Bestreben sich zu „assimilieren“ und dabei „deutscher als die Deutschen“ zu werden, was auch den deutschen Juden nicht half.
Der Dokumentationsfilm von Adrian Oeser, 2022 mehrfach prämiiert, zeichnet den Weg der Sinti und Roma nach dem Zweiten Weltkrieg nach. Der deutsche Staat verwehrte ihnen besonders lange eine Entschädigung, mit teils haarsträubenden Erklärungen, und erkannte den Völkermord an ihnen auch erst 1982 an. Im Gegenteil wurden Ausgrenzung-, Überwachungs- und Kriminalisierungs-Praktiken aus der Nazi-Zeit fortgeführt. Erst die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma konnte einen Richtungswechsel einleiten, etwa mit einem Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau im Jahr 1980.
Aber der Weg ist offenbar immer noch lang: Nach der Vorführung des Films am 20. März 2023 in der Evangelischen Akademie Frankfurt erzählte die junge Vertreterin des hessischen Landesverbands der Sinti und Roma auf dem Podium, dass sie aus ihrer Ausbildung gemobbt worden war, als bekannt wurde, dass sie eine Sintezza ist. Adrian Oeser gab an, viel mehr Material gehabt zu haben, als im 45-Minuten-Film untergebracht wurde. Wer spendiert uns eine Langfassung? Immerhin: Der 45-Minuten-Film ist am 6. April 2023 um 23:15 Uhr im hr-fernsehen nochmal zu sehen.
Die mobile Ausstellung des Hessischen Landesverband deutscher Sinti und Roma gibt einen historischen Überblick über den langen Weg der Sinti und Roma, von der ersten Erwähnung 1407 in einer Hildesheimer Schrift bis zur Bürgerrechtsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Ausstellung gastiert bis einschließlich 26. Mai 2023 im AMKA, ein Besuch muss aber angemeldet werden unter amka.adinet@stadt frankfurt.de.
Ich hatte das nicht gemacht und musste erstmal kehrt machen, weil im Ausstellungsraum gerade ein Antidiskriminierungstraining für Polizisten veranstaltet wurde. Eine Anmeldung ist auch deshalb sinnvoll, weil der Ausstellungsraum im 4. Stock des labyrinthischen Bürogebäudes mit kundiger Begleitung leichter zu finden ist. Die Präsentation wirkt überraschend lieblos und wurde wohl nur sparsam kommuniziert, trotz des Mangels an Bildungsangeboten über diese Minderheit. Insbesondere fand ich schade, dass die Aufstellung der 37 Roll-Ups nicht mit dem Audio-Guide synchronisiert wurde, obwohl die Roll-Ups erst durch die Sprachspur Sinn machen. Aber es gibt es diese Ausstellung überhaupt, die Begleitbroschüre ist hervorragend, und hoffentlich macht das AMKA auch bald mehr zum langen Weg der Sinti und Roma in Deutschland.