… war Opfer von Kriminalität mit gerichteter Energie, wie aus der 1999 veröffentlichten Biografie des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki hervorgeht. Das ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Nazi-Seilschaften die Niederschlagung der Terror-Herrschaft der Nationalsozialisten überdauert hatten.
Reich-Ranicki schildert einen Besuch im Februar 1965 bei Nelly Sachs (1891-1970) in Stockholm. Er wollte über die Dichterin einen Bericht schreiben, die bald darauf, nämlich im Oktober 1965, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten sollte. Aber: „Von Freunden aus dem Goethe-Institut wurde ich gewarnt: Das Gespräch werde schwierig und nicht ergiebig sein. Denn ihr psychischer Zustand sei sehr bedenklich, ihre Zurechnungsfähigkeit stark eingeschränkt.“ Die Botschaft aus dem Goethe-Institut: Nimm nicht ernst, was sie sagt. Was die „kleine, zarte und zierliche Dame“ sagte, schien die Warnung zu bestätigen: Sie werde „…in Stockholm von einer illegalen deutschen, nationalsozialistischen Organisation verfolgt und terrorisiert. Inzwischen seien die Nazis unter der Kontrolle der schwedischen Polizei, so dass ihr, Nelly Sachs, keine unmittelbare Gefahr mehr drohe. Allerdings werde von der Nazi-Organisation ihr Schlaf mit Hilfe von Radiowellen unentwegt gestört, zeitweise sogar unmöglich gemacht – dagegen könne die Polizei nichts unternehmen.“ Obwohl sie „einfach und vernünftig“ sprach, “sobald sie vom Thema ihrer Verfolgung zu anderen Fragen überging“, schrieb er seinen Bericht nicht (Marcel Reich-Ranicki, Mein Leben, 2000, S. 440f). Sein Verdienst ist es, dass er den Besuch dennoch in seiner Biografie für die Nachwelt festgehalten hat.
Nelly Sachs wurde danach zu einer besonders bei der deutschen Jugend bekannten Schriftstellerin, und was sie Reich-Ranicki gegenüber beklagt hatte, war möglich: Radiowellen sind Teil des elektromagnetischen Spektrums, zu dem auch die waffenfähigen Mikrowellen gehören. In Deutschland wurde „das ‚Mikrowellensyndrom der Funkfrequenzkrankheit‘, so nannte man es, … schon 1932 … beschrieben“, sagte Professor Dr. med. Karl Hecht 2009 (PROVOkant 02/09, S. 37).
Für Angriffe mit Radiowellen/Mikrowellen war Nelly Sachs ein geeignetes Opfer, wie sich aus der 1994 veröffentlichen Biografie von Ruth Dinesen ergibt. Als einziges Kind einer wohlhabenden assimiliert-jüdischen Familie wuchs sie in Berlin unter behüteten Umständen auf. Mit 16 oder 17 Jahren erlebte sie ein sexuelles Trauma, das eine anorexische Phase auslöste. Über den Verursacher schwieg sie zeitlebens (Biografie, S. 48ff). 1930 starb der Vater. Ab der Machtergreifung der Nationalsozialisten lebten sie und ihre Mutter in ständiger Not und Angst. 1940 flohen sie mit dem letzten Flugzeug nach Stockholm. 1941 kamen sie in einer ebenerdigen Einzimmer-Wohnung im Haus einer jüdischen Stiftung unter, für die sie keine Miete zu zahlen brauchten. 1948 Umzug in eine größere Einzimmer-Wohnung im gleichen Haus, in dem Nelly Sachs bis zu ihrem Tod 1970 blieb. 1950 starb die Mutter. Danach war Nelly Sachs eine alleinstehende ältere Frau, als Deutsche jüdischen Glaubens in Schweden eine Fremde, als Dichterin lange unbekannt und darum arm. Dazu war sie schon als Kind ungewöhnlich empfindsam, und erlitt nach dem sexuell traumatisierenden Erlebnis einen psychischen Zusammenbruch, was sich danach mehrfach wiederholte. Eine Psycho-Pathologisierung der ihr in Stockholm angetanen Gewalt war also leicht möglich, denn gerichtete Energie ist ohne technische Hilfsmittel nicht nachweisbar, und in ihrer Umgebung fand sie nur wenig Glauben.
In Stockholm kreisten ihre literarischen Arbeiten um Fragen jüdischer Identität und jüdischen Glaubens und damit auch um die Gräueltaten der Nationalsozialisten. In einem Brief vom 20.3.1968 datierte sie den Beginn der Verfolgung, die sie „bis an den Rand des Wahnsinns gehetzt“ hatte, mit der Veröffentlichung des Gedicht-Zyklus „In den Wohnungen des Todes“ 1947 (Biografie S. 349). Aber erst das Rundfunk-Portrait von Hans Magnus Enzensberger am 13.2.1959 „trug entscheidend zu dem Tauwetter bei, das sich in der Haltung der deutschen Öffentlichkeit zu Nelly Sachs und ihrem Werk anbahnte.“ (Biografie S. 278). Anlässlich der Verleihung des Meersburger Droste-Preises für Dichterinnen am 29.05.1960 entbrannte eine Diskussion, in der auf der einen Seite ihr Werk als Friedensangebot gesehen wurde, auf der anderen aber als Bedrohung des philosemitischen Scheinfriedens. Sie selber wurde dabei als „militante jüdische Dichterin“ vollkommen falsch dargestellt (Biografie, S. 300f).
In auffälliger Parallelität zu ihrer zunehmenden Bekanntheit begann sie, in ihren Briefen zunächst über körperliche Beschwerden und dann über die Verfolgung mit Radiowellen zu berichten. In einem Brief vom 23.10.1959 klagte sie über Herzbeschwerden und „…Kopfschmerzen, die mich jetzt immer häufiger heimsuchen.“ (Briefe der Nelly Sachs, herausgegeben von Ruth Dinesen und Helmut Müssener, 1985, S. 235). Ab Anfang 1960 schilderte sie den Radiowellen-Terror in ihrer Wohnung. Aus ihrem Brief vom 4.5.1960 etwa: „Eine Werkstatt hat sich oberhalb meiner Wohnung eingenistet, ganz heimlich von jungen, wahrscheinlich arbeitslosen Menschen, und ich habe weder Tag noch Nacht Ruhe. Das schlimmste daran ist, daß so viele Menschen darin verwickelt sind und ich ganz und gar hilflos bin. Kann nicht mehr hier schlafen, muss es bei einer Nachbarin tun. Menschlich habe ich die Erfahrung gemacht, eine Hitlerversammlung im kleinen und ungeheure Feigheit“ (Briefe, S. 244). Am 10.5.1960: „… diese Wohnung ist mir ein solcher Schrecken geworden, dass ich darin nicht mehr verbleiben kann. … Traurig für mich – am allertraurigsten, daß nahe Freunde mein Wort bezweifelten – daß es ferne Menschen taten, wundert mich nicht – denn dies alles hier konnte den Gedanken in Abenteuerfilme oder kranke Nerven führen. Hätte nur einmal gewünscht, daß ein Einziger der Ungläubigen hier eine Nacht mit andauerndem Knipsen und Knacken verbracht hätte – während die Fensterschreiben zitterten wie von elekrischen Grillenflügeln – daß ich zuerst dachte, es regnet.“ (Briefe, S. 246f) Am 4.7.1960: „… ich klagte niemals um bloße Störungen – wohne ja seit 12 Jahren da. Aber ich klagte um etwas Schlimmeres. Vielleicht, daß man versucht, die Frau oberhalb zu versöhnen von ihrem Haß und den „Sender“ endgültig zu entfernen – denn es ist in ihrer Wohnung, wo sich alles ereignet.“ (Briefe, S. 248).
Im 8. August 1960 wurde Nelly Sachs „in einem Zustand der Versteinerung“ (Biografie, S. 245) in die psychiatrische Abteilung des Krankenhauses Södersjukhuset eingeliefert und im August in die Nervenklinik Beckomberga überführt, wo sie mit Elektroschocks behandelt wurde (Biografie, S. 361). Obwohl sie eine psychische Ursache für ihre Wahrnehmungen in ihrer Wohnung immer energisch ausschloss (Biografie, S. 241), anders hätte sie im Gespräch mit Reich-Ranicki die Polizei nicht erwähnt, war sie danach immer wieder in Beckomberga: Brief vom 30.03.1961: „… ich musste dieses Obdach hier annehmen…“ (Briefe S. 263). Den Preis dieser Notlösung erwähnte sie im Brief vom 10.7.1961: „…die Freiheit, …, die sie mir genommen haben mit der sichtbaren und unsichtbaren Verfolgung Tag und Nacht. … Hier im Krankenhaus bin ich geschützt – darf schlafen ohne Morse-Töne – im Park spazierengehn ohne Verfolger und arbeiten … Aber wie wird es werden, ein Leben noch möglich für mich in Freiheit?“ (Briefe, S. 274) In ihren Lebenserinnerungen bestätigte eine schwedische Freundin die Situation in Nelly Sachs‘ Wohnung, in der sie eine schlaflose Nacht verbracht hatte: Sie hatte die aggressive Frau im Haus wahrgenommen, ebenso die sonderbaren Geräusche: „Es ist etwas Reales an dem, was den Schrecken auslöst.“ (Biografie, S. 244)
Ein Wohnungstausch sei nicht möglich, schrieb sie am 14.12.1960 an Hilde Domin (Briefe, S. 260). Noch 1962 hofft sie (vergeblich) auf einen Umzug. Brief vom 28.3.1962 aus Beckomberga an Enzensbergers: „… es wird wohl so sein, daß ich, bis eine neue Wohnung gefunden ist, hier bleibe. Immer mehr stellt sich heraus, daß meines Bleibens dort nicht mehr möglich ist.“ Die Schwedische Akademie versuche, ihr eine Wohnung zu verschaffen. (Briefe, S. 279) Aus ihrem Brief vom 23.6.62 geht hervor, wie tief verzweifelt sie war, und dass der Radiowellen/Mikrowellen-Terror gegen Flüchtlinge hier schon früher vorgekommen war, obwohl dieses Haus einer jüdischen Stiftung gehörte: „… die Gaskammer hat wohl ungefähr 20 Minuten gedauert – aber dieses hier seit so vielen Jahren. Als meine geliebte Mutter und ich diese Wohnung bekamen, von gleichfalls Flüchtlingen, Mutter und Tochter so wie wir … warnte mich die Tochter, die auch Furchtbarstes durchkämpft hatte und keine Ruhe in der Wohnung fand. Aber wir hatten möbliert gewohnt – dann im gleichen Haus in einer sonnenlosen Hofwohnung, wo man uns mit Pfeilen hereingeschossen hat und Steine geworfen … Als wir dann die andere Wohnung bezogen nach der Straße, war es genau, wie die Vormieter sagten – furchtbare Unruhe und jene Wohnung über uns, die man später den furchtbaren Verfolgern überließ. Die Vormieterin hatte sehr schlecht gestanden mit der obigen Bewohnerin, darum weil sie während der Hitlerzeit aus ihrem Antisemitismus gegen die Flüchtlinge keinen Hehl machte.“ (Briefe, S. 281)
1965 hatte das Goethe-Institut in Stockholm Reich-Ranicki vor dem Gespräch mit Nelly Sachs gewarnt, obwohl es für die Behauptung, ihre Zurechnungsfähigkeit sei „stark eingeschränkt“, keine Belege gegeben haben kann und sich die Frage stellt, weshalb diese Behauptung aufgestellt worden war. Heute ist institutioneller Antisemitismus/Rassismus, wie wir nicht erst seit der NSU-Mordserie, den NSU 2.0-Drohschreiben oder den Morden in Hanau wissen, noch immer nicht ausgemerzt. Auch die Technik aus der NS-Zeit, die Nelly Sachs die „geistige Tortur der Gestapo“ (Briefe S. 280) nannte, wird weiterhin genutzt. Bei ihr ging es um Gewalt mit Radiowellen/Mikrowellen, bei mir (und anderen) geht es um Infraschall, beides waffenfähige Formen von gerichteter Energie.
Folgerichtig, dass es Parallelen zur aktuellen Lage von Betroffenen gibt: Die Polizei sieht immer noch tatenlos zu und deutet auf die Psychiatrie, obwohl inzwischen entsprechende Waffen im Bundes-Waffengesetz erfasst wurden. Opfer werden immer noch bedroht, um sie zum Schweigen zu bringen. Diese Form von Kriminalität spielt sich weiterhin hauptsächlich in Wohnungen ab, verbunden mit sonderbaren Geräuschen, und geht von Personen in angrenzenden Wohnungen aus. Die schutzlosen Opfer sind immer noch gezwungen, sich „Ausweichquartiere“ zu suchen, Nelly Sachs in Krankenhäusern und Psychiatrien.
Nachweisbar ist gerichtete Energie nur mittels behördlicher Messungen, folglich bleibt Kriminalität straffrei, solange diese ausbleiben – obwohl gerichtete Energie hochdosiert physische und psychische Wirkungen auslöst, die Schmerzen und körperliche Probleme bewirken, bis hin zu einem zugefügten Tod. Besonders vulnerable Menschen werden bevorzugt zu Opfern gemacht, etwa alleinstehende alte Frauen, und besonders bestürzend: Flüchtlinge standen schon damals im Fokus.