Im Kunstverein Frankfurt zeigte das Künstler*innen-Kollektiv Forensic Architecture bis 11.09.2022, wie die Geschichten entschlüsselt werden können, die uns die Dinge erzählen: Die Tür in der Arena-Bar und die Tür des Täterhauses in Hanau geben Auskunft über Polizeiversagen in Hessen, die Zellentür über mutmaßlichen Mord im Polizeigewahrsam Dessau: Three Doors
Der Notausgang in der Arena-Bar in Hanau war verschlossen, nach zahlreichen Aussagen auf Anweisung der Polizei, die auch sechs (!) Überwachungskameras in der Bar hatte anbringen lassen. Wäre diese Tür offen gewesen, würden mehrere der Opfer der rechtsterroristischen Morde am 19. Februar 2020 wahrscheinlich noch leben: Dass sie verschlossen war, und dass die späteren Opfer das wussten, zeigt die Auswertung der Überwachungskameras.
Die Tür des Täterhauses wurde in der Tatnacht nur sporadisch bewacht, was dem Täter die Flucht hätte ermöglichen können: Wie u.a. Aufnahmen aus dem über Hanau kreisenden Polizei-Hubschrauber zeigen. Später kam heraus, dass 13 der in dieser Nacht eingesetzten Polizisten in rechtsextremen Chats aktiv waren. Das Täterhaus wurde auch erst viele Stunden nach der Tat gestürmt.
Die Tür der Zelle, in der Oury Jalloh 2005 im Polizeigewahrsam in Dessau verbrannte, zeigt einen Rauchhorizont, der nachweist, dass sie während des Brandes offengestanden haben muss, anders als die beiden Beamten angegeben hatten. Der Brand wurde also bewacht. Damit ist die amtliche These ein weiteres Mal widerlegt, dass Jalloh, dem alle Knochen gebrochen worden waren und der an Händen und Füßen an eine Matratze gefesselt war, sich selbst angezündet haben könnte.
Kunst oder Spurensicherung, eigentich Aufgabe der Polizei? Forensic Architecture/Forensis ist ein interdisziplinäres Kollektiv, das in Kooperation mit Betroffenengruppen technische und ästhetische Methoden einsetzt, um soziale Zustände und vorhandenes Material bei rassistischen Menschenrechtsverletzungen zu befragen, wenn Behördenrassismus der gebotenen Aufklärung von Straftaten im Wege steht, wie das gerade in Hessen häufig der Fall ist. Mit diesen Methoden und viel akribischer Recherche konnte Forensic Architecture neue Beweismittel gewinnen, die politische und rechtliche Konsequenzen haben sollten.
Beweismittel als Exponate einer Ausstellung, das klingt nüchtern. Aber im Kontext aktueller gesellschaftlicher Diskussionen eröffnen sie neue Perspektiven, die durch die Testimonials der Hinterbliebenen vor dem Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags UNA emotionale Dichte gewinnen. Die Hör-Doku „Die Lücke von Hanau“ von Dietrich Brants und Jan Tussing beleuchtet die Person des Täters, kein Einzeltäter, sondern einer der vielen, die die Sarrazin-Schmähschrifte als Ermutigung aufnahmen, und der mit der Wahl seiner Waffe bewusst an die NSU-Mordserie anknüpfte. Er wurde nach der Tat von Rechts sofort als geisteskrank aus ihren Reihen exkommuniziert und zum verwirrten Einzeltäter umgedichtet, ein Narrativ, das den Blick auf Ermöglichungsstrukturen immer noch verstellt.
Der Kopf von Forensic Architecture, Eyal Weizman, ausgebildeter Architekt, hat in einer Menschenrechtsorganisation in Palästina gegen Rassismus gekämpft und ist inzwischen mit wechselnden Teams weltweit aktiv. Frankfurt kennt er von Besuchen als Kind bei seiner Tante, die in der Nähe des Kunstvereins gewohnt und ihn in die Welt der Kunst eingeführt habe, erzählte er beim Eröffnungsvortrag am 3. Juni 2022.
Die Ausstellung Three Doors in Kooperation mit der Initiative 19. Februar Hanau und der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh ist eines der neuen Formate in der Kunstwelt, mit der Erklärangebote für unsere komplexe Gegenwart gemacht werden, quasi eine Lesehilfe. Die Türen hier zeigen, in welchem Zustand sich unsere Demokratie gerade befindet: Keinem sehr guten.