Braucht Feminismus eine Religion? Die von Magdalena Depta (dieLINKE. Frankfurt) moderierte Podiumsdiskussion zwischen Khola Maryam Hübsch und Christine Buchholz half, unseren immer wieder kolonial verstellten Blick ein Stück zu weiten.
Die Frankfurter Publizistin und gläubige Muslimin Khola Maryam Hübsch gehört zu den liberalen Ahmadiyya-Muslimen, die in vielen muslimischen Ländern verfolgt werden. Feminismus ist für eine Ahmadiyya möglicherweise kein dringend benötigtes Konzept, da der Koran die Gleichstellung der Geschlechter vorschreibe und ohnehin ein Fundus an emanzipativen Vorstellungen sei, meint Khola Hübsch. Aber weltweit herrsche derzeit die fundamentalistisch-rückwärtsgewandte Variante des Islam vor und deshalb sind auch im religionsneutralen Deutschland alle Muslime zunehmend stereotypen Vorurteilen ausgesetzt, die von rechten Parteien, besonders der rechtsradikalen AfD, politisch ausgebeutet werden. Khola Hübsch zeigte mehrere Karikaturen, die die blanke Absurdität der Vorurteile beleuchteten, Lachen als Ventil für Ratlosigkeit, und hat auch schon über die „Muslimifizierung“ sozialer Probleme veröffentlicht. Das berühmte Marx-Zitat über Religion und Opium*, aus dem Publikum falsch ins Feld geführt, das konnte sie richtigstellen: Sie entstammt einer politisch linken Familie.
Christine Buchholz, bekennende Atheistin und religionspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, leitete die Traditionslinie aktueller Vorteile gegenüber MuslimInnen aus dem Orientalismus der Kolonial-Ära ab. Das paternalistische Rettungsmotiv sei immer noch virulent, erinnere man sich an die Begründung für den Einmarsch in Afghanistan. In welcher Tradition das jüngste Kopftuchurteil des Arbeitsgerichts Berlin wohl steht? Die Folge solcher Urteile ist jedenfalls, Vorurteile anzuheizen und Arbeit zu ethnisieren: Kopftuchtragende Musliminnen werden so aus gehobenen Berufen ausgeschlossen (dürfen aber immer gern als Putzfrauen arbeiten). Dabei wäre es Aufgabe des Staates, die grundgesetzliche Neutralität gegenüber allen Religionsgemeinschaften zu wahren und die Gleichberechtigung aller zu schützen. Es komme nicht darauf an, was auf dem Kopf ist, sondern darauf, was drin ist.
Und was ist mit der befürchteten Islamisierung des Abendlandes? Nahezu unerreichbar für eine Bevölkerungsgruppe, deren Anteil bei unter 5% liegt! Wäre da die Feminisierung des Abendlandes nicht vernünftiger? Dafür müsste, jedenfalls in Deutschland, bloß umgesetzt werden, was unser Grundgesetz vorgibt: Gleichberechtigung von Mann und Frau, unabhängig von anderen sozialen Markern bzw. Intersektionalisierungen, beispielsweise religiösen.
Aus dem sehr engagierten Publikum, full house übrigens gestern im Haus der Jugend, kam der Vorschlag an die Linke, sich mit den Religionsgemeinschaften in Deutschland zu verbünden, insbesondere mit den Kirchen. Das wäre eine Gelegenheit, mit der Feminisierung bei ihnen anzufangen, um dann gemeinsam für die Gleichberechtigung aller zu kämpfen.
[SLGF id=664]
* „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“ Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Einleitung