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Hanau und die Konsequenzen

Welche Schlüsse ziehen wir aus den rassistisch motivierten Morden in Hanau? Dieser Frage ging die Community der Menschen mit Migrationsgeschichte in der Frankfurter Bildungstätte Anne Frank im Rahmen einer am 25. Februar 2020 kurzfristig anberaumten Veranstaltung nach.

Auf dem Podium Mehmet Daimagüler, als Nebenklägervertreter im NSU-Prozess der Star des Abends, Olivia Sarma, Leiterin der Beratungsstelle „response“, der hr-Journalist Daniel Majic, der sozialpsychologisch versierte Aktivist Walid Malik, und als Moderatorin Aisha Camara von der BS Anne Frank. Es war auffällig voll, trotz der Kurzfristigkeit, jeder Meter im Saal und auf der Galerie von Menschen besetzt, und zwar erstaunlicherweise auch von vielen optischen Almans. Solidarität?

Die eingangs benannte Erfahrung, dass die Mehrheitsgesellschaft keine besondere Notiz von diesen Morden genommen hat, die kann ich persönlich nicht bestätigen. Im Kirchenchor wurde eine Gedenkminute eingelegt, eines der ersten Worte der Sonntagspredigt in Harheim war „Hanau“, in unserem gemeinschaftlichen Wohnprojekt wurde eine Unterschriftenliste ausgelegt und rege genutzt. Wahr ist allerdings, dass die knapp verhinderten Morde der kurz zuvor ausgehobenen Teutonico-Terrorgruppe keinen mehr so richtig interessieren.

Die Politik hat, vielleicht zum ersten Mal nach etwa 300 Todesopfern von Rechtsradikalen seit 1990, deutlichere Missbilligungssignale abgesetzt. Der Bundespräsident kam und hielt eine nette Rede. Die Kanzlerin sagte auch irgendwas. Sogar der Bis-zur-letzten-Patrone-Seehofer hatte Kreide gefressen. Aber die Sicherheitsbehörden halten Vertuschung offenbar immer noch für eine gut-demokratische Maßnahme. Besonders problematisch der Umgang des Hessischen Innenministeriums mit NSU-Untersuchungsakten, die für 130 Jahre gesperrt sind und eben dadurch auf eine Mitschuld des Hessischen Verfassungsschutzamtes deuten. War der Verfassungsschutzmitarbeiter Temme etwa doch der Mörder? Wobei wir froh sein müssen, dass diese Akten überhaupt noch existieren und nicht auch im Reisswolf gelandet sind, betonte Daimagüler.

Die Kontinuität der Gewalttaten ermüdet und macht nervös, sagte Olivia Sarma, besonders, dass Gerichte sich immer noch so schwer tun, Rassismus als solchen anzuerkennen. Können wir uns unter diesem Umständen sicher fühlen, wir mit der Migrationsgeschichte, dem anderen Aussehen, dem sexuellen oder kulturellen Anderssein, dem Anderssein überhaupt, geschützt von unseren Sicherheitsorganen? Wohl eher nicht.

Wobei es schon ein Fortschritt ist, dass das Wort „Rassismus“ seit den Hanauer Morden öfter benutzt wird als zuvor, und insbesondere, dass die Opferperspektive öfter vorkommt. Die Büttenrede in Mainz. Die Fußballfans. Kaddish in der jüdischen Gemeinde in Berlin. Grund zu Hoffnung?

Wir müssen uns weltweit vernetzen, meint Malik, schaun, wie andere Minderheiten-Communities das Problem in den Griff bekommen, vom eigenen demokratisch verfassten Staat ausgegrenzt zu werden, Stichwort Institutioneller Rassismus. Uns unterhaken und gegenseitig helfen, meint Daimagüler, der übrigens eine starkes Plädoyer dafür hielt, dass Veränderungen im eigenen Kopf anfangen müssen.

Das Wort Revolution fiel nicht, macht kaputt, was euch kaputt macht! Wir sind heute kopfgesteuerter. Aber wir wollen trotzdem nicht, dass die jungen Toten in Hanau für rein gar nichts gestorben sind, wie das nach dem Münchner Prozess mit den Toten der NSU-Mordserie passiert ist.

Am Ende des Abends verlas die Moderatorin Camara die zehn Namen der Todesopfer, einschließlich der der Mutter des Täters. Es spielt keine Rolle, dass der Täter psychisch krank war. Die „Botschaftstat“, mit den Shisha-Bars einen der Schutzräume für Menschen mit Migrationsgeschichte anzugreifen, die geschah in einem gesellschaftlichen Umfeld, das von allen Mainstream-Parteien, insbesondere der CDU/CSU, geprägt worden war, lange vor der Gründung der AfD.

Es reicht! sagen 142 Menschen mit Migrationserfahrung oder einfach einem anderen Aussehen, die von rassistischer Ausgrenzung betroffen sind.